Taylor Swift hat vor ein paar Tagen auf der Blog-Plattform Tumblr einen offenen Brief an Apple veröffentlicht, den sie über einen Twitterfeed an ihre knapp 60 Millionen Follower verbreitete. Unter der Überschrift „To Apple, Love Taylor“ erklärte die 25-Jährige, warum sie ihr neues Album zunächst nicht via Apple Music veröffentlichen wolle: Für Neukunden warb Apple Music mit einem kostenlosen Probe-Abo in den ersten drei Monaten. Die Künstler sollten in dieser Zeit nicht vergütet werden. Einen Tag später veröffentlichte Eddy Cue, Apples verantwortlicher Manager für Internet-Dienste und Media-Services, ebenfalls via Twitter, die offizielle Antwort des Konzerns aus Cupertino: „Wir hören Euch, Taylor Swift und Indie-Künstler. In Liebe, Apple. Apple Music wird die Künstler auch während der kostenlosen Probe-Abo-Zeit der Kunden bezahlen..“.
Monatelange Verhandlungen zwischen Apple und diversen Plattenlabels wurden vermutlich innerhalb eines Tages zunichte gemacht. Ein Tweet gegen die wertvollste Marke der Welt.
Im Social Web wird jeder Einzelne zum Medium
Betrachtet man diese Geschichte aus der Marketing-Perpektive, wird eines deutlich: Taylor Swift ist nicht nur eine erfolgreiche Künstlerin, sie ist ein Medium. Sie verfügt über Relevanz und Reichweite. Und sie ist nicht die Einzige. Die Youtuberin Bibi von BibisBeautyPalace hat annähernd zwölf Mal so viele Abonnenten (2 Millionen) wie die Jugendzeitschrift Bravo an IVW Auflage (173.402). Von diesen Beispielen gibt es viele und es werden immer mehr.
Auf der ersten Marketing Convention der Fachzeitschrift Werben & Verkaufen in München diskutierten am 16. Juni diesen Jahres Experten aus Unternehmen und Agenturen über aktuelle Herausforderungen im Marketing. Auch Oliver Blecken, COO der MediaCom, erläuterte in diesem Rahmen, welche Schwerpunkte Marken setzen müssen, um den Kampf um Aufmerksamkeit bei ihren Kunden zu gewinnen. Denn nicht nur Künstler, Prominente und Sportler seien ein Medium. Mit einer Präsenz in sozialen Netzwerken sei jeder Einzelne ein Medium. „Die bei weitem größte Aktivität findet dort durch Kommunikation von Freunden untereinander statt, “ so Blecken auf der Bühne.
Die User haben das Sagen, nicht mehr die Marken
Laut Fjord Trends sind mittlerweile über 80 Prozent der Inhalte im Internet nutzergeneriert. Damit haben die User das Sagen und nicht mehr die Marken. Aber nicht nur das. Menschen hören immer weniger zu: „Die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfisches beträgt 9 Sekunden. Die eines Menschen 8 Sekunden. Im Jahr 2000 betrug diese noch 12 Sekunden,“ so der MediaCom Manager Blecken weiter. Durchbrechen ließe sich dieses Dilemma nur durch relevanten Content für die User. Was zählt sei, was ‚die Zielgruppe‘ wolle, nicht, was die Marken zu sagen hätten.
Doch reicht der empfänger- statt markenorientierte Ansatz im Galopp auf dem altbekannten Content-ist-King-Pfad aus, um als Marke den Wettstreit um Earned Media zu gewinnen? Der fantastische Peter Figge von Jung von Matt lieferte hier einen interessanten Ansatz in seiner Marketing Convention Keynote: Statt des kanalbezogenen Paid-, Owned und Earned-Konzeptes zeigt Figge ein an den Interessen und Ansprüchen der Zielgruppen orientierten Ansatz: Den Hero-, Hub- und Hygiene-Content.
Dr. Peter Figge, CEO von Jung von Matt,
bei der W&V Marketing Convention 2015
Voll auf die Zielgruppe
Im Zentrum dieses Dreiklangs steht die Frage, wie eine Marke bei unterschiedlichen Konsumenten Relevanz schaffen und Interesse wecken kann, nachzulesen auch auf w&v online:
1. Hero-Content: Mit welchen Inhalten und Maßnahmen schaffe ich von Zeit zu Zeit herausragende Aufmerksamkeit, emotionale Anteilnahme und starke Weiterverbreitung innerhalb der Zielgruppen?
2. Hub-Content: Mit welchen Inhalten und Maßnahmen informiere und inspiriere ich meine Zielgruppen regelmäßig über das, was meine Produkte für sie zu bieten haben?
3. Hygiene-Content: Mit welchen Inhalten und Maßnahmen biete ich dem Einzelnen innerhalb meiner Zielgruppen jederzeit alles, was ihn im Kontext des gesamten Themas interessiert, was ihm hilft, sich zu orientieren und Entscheidungen vereinfacht?
Diese Fragen erfordern ein hohes Maß an Auseinandersetzung mit den Zielgruppen und den jeweiligen Content-Ebenen. Dazu kommt die Content-Erstellung, dessen mediale Aufbereitung und Orchestrierung. Die Frage nach den passenden Kanälen beantwortet Peter Figge so: “Ob man seine Inhalte über eine bezahlte, eine eigene oder eine journalistische Plattform verbreitet, richtet sich allein nach dem Konsumenten und seinen Ansprüchen an die Mediennutzung. Also nach dem Kontext.“
Die Goldfisch-These von Oliver Blecken erinnnerte mich spontan an ein Lied von Nina Hagen, das sie 1978 zum ersten Mal auf Ihrem Album Nina Hagen Band veröffentlichte: „Sie will ein Fisch im Wasser sein, im flaschengrünen tiefen See…“ Das ist 37 Jahre her. Die Sängerin hat keinen offiziellen Twitter-Account. Ob im Jahr 2052 noch irgendjemand Taylor Swift hören wird, ihre Lieder kennt oder sich an ihren Tweet gegen Apple erinnern wird, weiß ich nicht, die Fische im See auch nicht und die Goldfische ohnehin nicht. Aber die Frage nach der Halbwertszeit von Social Media und Musik ist ein anderes Thema…
Melanie Lammers
Foto „Goldfisch“ © rcfotostock – fotolia.com